Sie reden nur, tun es aber nicht

„Sie reden nur, tun es aber nicht.“
„Was sie tun, tun sie, um von den Menschen gesehen zu werden.“
– Diese zwei Aussagen aus dem heutigen Evangelium klingen in meinem Ohr nach. Angeblich hat Jesus damit die Schriftgelehrten und Pharisäer beurteilt. Ein zorniger Jesus spricht hier in aller Schärfe über die Vertreter des Glaubens, er kritisiert und irritiert mit diesen ungewohnt scharfen Worten. – Wie leicht geschieht es uns vielleicht, dass wir denken: „Der hat es ihnen aber gegeben! Der hat es ihnen richtig reingesagt!“ – und vielleicht denken manche auch: „Das wäre heute auch notwendig!“ Da gibt es die Erfahrungen von selbstherrlicher Machtausübung mancher Kirchenvertreter, Missbrauchsskandale – gerade dort, wo Menschen öffentlich Moral einfordern und sich dann nicht danach verhalten, wird es ihnen besonders schlecht angerechnet. „Sie reden nur, tun es aber nicht.“- das ist besonders verwerflich.

Wenn wir uns im Anschluss an diese Textstelle damit aufhalten Priester- oder überhaupt Kirchenbashing zu betreiben, übersehen wir jedoch Wesentliches.  – Wenn man mit dem Finger nur auf die anderen zeigt, entgeht einem die Botschaft. Das gilt auch in anderen Bereichen, ob in der Weltpolitik, wo einer dem anderen die Schuld in die Schuhe schiebt, oder im privaten Umfeld. Wie schnell bin ich dabei, das zu finden, was jemand anderer falsch oder schlecht gemacht hat? Was aber ist wesentlich? Der Text des Evangeliums richtet sich nicht nur an Vertreter der Kirche, einer Kirche die aus Heiligen, Scheinheiligen und Normalsterblichen zusammengesetzt ist, sondern auch an das Scheinheilige in mir selbst. Egal, was ich tue, wo ich arbeite, wie ich lebe, muss ich mich fragen: was lebe ich selbst? Was rede und was tue ich? Wie verhalte ich mich? Fühle ich mich besser, wenn ich den Fehler bei den anderen entdecke? Wem will ich gefallen, wen will ich beeindrucken?

Jesus spricht uns alle persönlich an: lass dich nicht so oder so nennen, das heißt auch: es soll dir nicht darum gehen, dass andere dich weise, interessant, begehrenswert oder klug finden und bewundern; es soll dir darum gehen, dich auf Gott auszurichten. Das und sonst nichts. Die Blickrichtung muss eindeutig sein. Das sollte nicht durcheinandergebracht werden. Nur einer ist euer Meister, nur einer ist euer Vater, nur einer ist euer Lehrer, Christus. Damit wir nicht das Unwichtige verabsolutieren, uns in Nebensächlichkeiten verlieren oder der Anerkennung durch andere hinterherjagen, sollen wir die Blickrichtung ändern und Jesus in die Augen schauen.
Der Priester Romano Guardini hat das in einem Gebet zum Ausdruck gebracht:

„Immerfort empfange ich mich aus Deiner Hand. 
Das ist meine Wahrheit und meine Freude. 
Immerfort blickt dein Auge mich an, und ich lebe aus Deinem Blick, 
Du mein Schöpfer und mein Heil.
Lehre mich, in der Stille Deiner Gegenwart das Geheimnis zu verstehen, 
dass ich bin. 
Und dass ich bin durch Dich
und vor dir und für dich. Amen.“

 

Predigt von Iris Gumpenberger
am 4. und 5. November