Von Gott berührt

„Die Menschen eilten durch die ganze Gegend und brachten die Kranken auf Tragbahren zu ihm (Jesus), sobald sie hörten, wo er war. Und immer, wenn er in ein Dorf oder eine Stadt oder zu einem Gehöft kam, trug man die Kranken auf die Straße hinaus und bat ihn, er möge sie wenigstens den Saum seines Gewandes berühren lassen. Und alle, die ihn berührten, wurden geheilt.“ (Mk 6,55-56)

 

Predigt im Gottesdienst mit den Kranken

 

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

die Begegnungen der Menschen sind durch Nähe und Distanz geprägt. Schon die Begrüßungsarten zeigen verschiedene Beziehungsebenen. Küsschen an die Wange, ein Händedruck, oder das Winken von der Weite sprechen deutlich über die Nähe oder über die Distanz der betroffenen Personen. In den Kommunikationswissenschaften unterscheidet man in der Regel vier Abstandszonen, die mit den Beziehungen der Menschen zusammenhängen:

Die erste ist die intime Distanz, die höchstens einen halben Meter beträgt und in der Regel dem Freundes- und Familienkreis vorbehalten ist. Hand auf die Schulter, Umarmung, die Streicheleinheiten.

Die zweite – die persönliche Distanz – liegt zwischen fünfzig Zentimetern und gut einem Meter. Dieser Abstand erlaubt den bei uns gebräuchlichen Handschlag.

Die dritte – die soziale oder die gesellschaftlich-wirtschaftliche Distanz – wird mit der Entfernung zwischen einem und zwei Metern angegeben. Sie betrifft die Kontakte in den Geschäften und bei den Ämtern.

Die vierte – die öffentliche Distanz – beträgt mindestens drei Meter. In einem solchen Fall ist der persönliche Kontakt zwischen den Personen nicht möglich.

Auch wenn man über solche Dinge nicht jeden Tag nachdenkt ist die Problematik im Fall einer Krankheit besonders aktuell. Denn gerade in der Krankheit wird die Frage nach Nähe und Distanz eine der wichtigsten. Von wem lasse ich mich berühren? Wer soll mich pflegen, mich in der Nacht umdrehen…? Was tut mir gut und was ist mir bereits zu viel? Viele dieser Fragen stellen sich bei den gesunden Menschen nicht. Aber die kranken und alten Menschen müssen sich mit ihnen auseinandersetzen und oft einen neuen Umgang mit der Nähe und Distanz lernen.

Im heutigen Evangelium haben wir eine Geschichte gehört, die sich innerhalb eines halben Meters – also in der intimen Zone – abspielt. Menschen, die erfahren, dass Jesus in der Nähe ist, wollen zu ihm gebracht und von ihm berührt werden. Kranke und ihre Angehörigen wollen in die Zone, die dem Kreis der Familie und der Freunde Jesu gehört. Und gerade das machen auch wir heute. Wir zaubern nicht wie die Schamanen, wir machen keine leeren Versprechungen wie die Astrologen. Wir wollen in den Kreis der Freunde Jesu, wir wollen die Distanz zu ihm so verkürzen, dass seine Berührung an uns möglich ist.

Und Gott berührt uns. Manchmal als einer, der uns trägt, wenn wir keine Kraft mehr zum Gehen haben. Heute mit der Zusage des Heiligen Geistes, der uns in Krankheit stärkt und Mut macht. Er, der Barmherzige Gott steht uns bei und nimmt uns auf in den Kreis seiner Familie.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

mag sein, dass die Abstandzonen im Sinne der Kommunikationswissenschaften wichtig sind, um eigene Beziehungen gut leben zu können. Die Distanzzone zu Gott soll aber auf das Minimum reduziert werden. Denn er kann uns nur dann stärken und heilen, wenn wir ihn in unseren intimen Kreis hinein lassen, also wenn er uns berühren kann.

Ich wünsche uns allen, dass es uns gelingt, so nahe wie möglich an Gott zu leben. Ich wünsche uns, dass wir uns von ihm immer wieder tragen und stärken lassen. Dann werden wir mit seiner Kraft beschenkt und heil werden können.

Slawomir Dadas
Pfarrer