Wohnen bei mir selbst im Angesicht Gottes

„Wohnen bei mir selbst im Angesicht Gottes“

achtsam wohnen

zufrieden leben

 

Wir sind auf eine neue Weise daheim angekommen. Wir beginnen unsere vertrauten Räume, in die wir uns jetzt zurückziehen müssen, neu zu betrachten. Die Räume sind ein Spiegel meiner Seele, sie drücken aus, was ich in meinem Innersten fühle.

Ich lade Sie ein Ihr Zuhause einmal neu zu betrachten, was da alles rumsteht, was sich da alles angesammelt hat, viele liebevolle Geschenke, traurige Erinnerungen, hart ersparte Gegenstände, die man sich endlich leisten konnte, vergilbte Fotos von alten Menschen, die längst nicht mehr leben, unbezahlte Rechnungen, die im Moment der Krise noch mehr Angst machen.

Ich beginne im Büro, was mir da so alles ins Auge fällt. Chaos am Schreibtisch, die Zettel türmen sich, was liegt da alles darunter, was ich jetzt gar nicht mehr erledigen muss, was sich durch die Krise erübrigt hat. Da liegen die Homeoffice- Hausübungen meiner kleinen Tochter, die sie gewissenhaft erledigt, ganz selbstständig. Ja, ich bin stolz auf sie, dass sie sich so gut organisiert. Wie lange wird sie der Krise so tapfer und ohne alle Freunde wohl standhalten? Daneben liegt das Handy, das ich sonst so oft verfluche, das aber jetzt so wertvolle Arbeit leistet, mich mit vielen Menschen verbindet, die ich liebe, um die ich mir Sorgen bereite. Wen soll ich wohl heute noch anrufen, wer würde sich über einen Anruf freuen? Da stehen aber auch die übervollen Bücherregale. Welches ist mein Lieblingsbuch, wie viele verschiedene Themen haben mich schon interessiert? Von welchen Büchern hab ich am meisten gelernt, welche haben mein Leben verändert? Von einigen Büchern war ich früher begeistert, aber heute denke ich ganz anders, ich könnte sie eigentlich für den Flohmarkt aussortieren. Da stehen die alten Bertelsmann Lexika, die ich mir als junge Lehrerin im Wert eines ganzen Monatsgehaltes gekauft habe. Jetzt haben sie im Zeitalter vom Internet wohl ausgedient, aber irgendwie sind sie mir noch wertvoll, so viel geballtes Wissen. Viele, viele Ordner voller fertiger Vorbereitungen, wie viele Stunden Arbeit stecken da wohl drin, haben diese Gottesdienste jemanden gefreut?  Am Regal steht das selbstgeschriebene Buch meiner Schwester „Den Himmel erden“. Wie schön war doch ihre Buchpräsentation im Cafe Brückl in Wien. Wie stolz war ich als ich ihr Buch in Graz in der Buchhandlung Moser neben dem Buch von Anselm Grün stehen sah. Gleich daneben stehen die Blumen, die ich aus einem kleinen Ableger, den ich von Heidi geschenkt bekommen habe, selbst gezogen habe. Daneben das Buch von Tibet, meinem früheren Traumreiseziel, ein selbstgemaltes Mandala meiner Putzfrau, ein kleiner Christbaum von einer Künstlerin steht auch noch rum, den hab ich wohl beim Verräumen der Weihnachtssachen übersehen. Die alten Korbsessel, die standen früher am Attersee, wie viele Stunden saß ich da am Balkon und hab auf den See geschaut? Diese Stimmungsbilder vom See, egal ob Sonnenaufgang, Gewitter und Sturm oder Sonnenuntergang sind tief in meine Seele eingesickert. Ich liebe den Attersee und es tut mir weh, dass ich jetzt so selten hinkomme.

Ich sitze da und lasse mein Büro auf mich wirken. Was macht das mit mir? Wofür steht mein Büro? Wofür arbeite ich? Was ist meine wirkliche Lebensaufgabe? Wie oft hab ich mir diese Frage schon gestellt?  Gott, was hast du vor mit mir? Wohin stellst du mich?

Sie können aber auch Ihren Kühlschrank betrachten. Was steht da heute alles drin? Wer hat das so liebevoll zubereitet? Wie lecker schmeckt das? Vielleicht geht es Ihnen auch so, dass in dieser Krisenzeit Essen wieder viel bewusster wird. Wir sind akribisch darauf bedacht, dass von den Vorräten jetzt nichts kaputt wird. Das ist uns wichtig. Beim Kastlräumen fand ich noch ein selbstgemachtes Pesto, das ich zu Weihnachten geschenkt bekam und ein selbstgebackenes Kletzenbrot aus Birkfeld. Wir haben es jetzt täglich höchst bewusst zum Nachmittagskaffee gegessen und es hat köstlich geschmeckt. Es war etwas ganz Besonderes, weil ich es von meiner Mutter bekam, die ich jetzt nicht sehen kann und es hat mich irgendwie mit ihr verbunden. Danke Mutti, wahrscheinlich ist es das einzige Kletzenbrot, an das ich mich je in meinem Leben erinnern werde.

So können sie durch alle Räume gehen und sich fragen, was sie ihnen zu erzählen haben. Sie werden merken welche wertvollen Erinnerungen in ihren Räumen stecken, wieviel Arbeit sie schon in ihr Zuhause investiert haben. Vielleicht nehmen  sie manche Dinge, die Ihnen ans Herz gewachsen sind, ganz behutsam in ihre Hände und fragen sich, was sie Ihnen noch bedeuten, woran und an wen sie sie erinnern. Vielleicht vermissen sie diese Menschen in dieser Zeit ganz besonders, vielleicht sind sie aber auch nur dankbar für die schöne Zeit, die sie erleben durften, die vielen Geschenke, die vielen Freunde, die vielen lieben Menschen an die sie Ihr Zuhause erinnert.

In meinem Haus gibt es aber auch spirituelle Räume, heilige Nischen, heilige Plätze, die sich ständig verändern. Mein Lieblingsplatz ist das alte Kaffeetischerl, dort stehen immer Kerzen, Blumen, geschenkte Karten. Tausende Stunden sind Franz und ich dort schon gesessen, haben um 3 Uhr in der Früh Kaffee getrunken, diskutiert, Zeitung gelesen oder einfach nur aus dem Fenster geschaut, stundenlang. Es ist ein Platz unserer Beziehung. Ganz besonders wichtig ist auch mein Meditationsplatz. Früher hatte ich einen eigenen Meditationsraum, aber seit einigen Jahren ist es ganz einfach der Wohnzimmerteppich, der in der Früh nach 3 Tassen Kaffee  für 2 Stunden mein heiliger Ort ist. Es ist mein heiliger Ort, meine heilige Zeit und mein heiliges Sein und das täglich. Einen anderen Tagesbeginn kann ich mir nur mehr schwer vorstellen und ich bin grantig, wenn es manchmal anders sein muss. Es gibt auch verschiedene Nischen, die ich mit religiösen Symbolen, Bildern, Büchern, Texten gestalte, so eine Art Hausaltar. Ich merke, dass sich diese Bereiche sehr häufig ändern, dass sich immer neue Symbole finden, die für meine Religiosität stehen. Für andere Menschen sind es nur Ziergegenstände, aber für mich Ausdruck meiner tiefsten Religiosität. Im Moment stehen Himmelschlüsserl in meinem Wohnzimmer. Das erste Himmelschlüsserl, das ich jedes Jahr sehe, esse ich, und ich bete dabei: „Herr, öffne meine Seele für den Himmel“. Ich liebe kleine Rituale, die mich in meinem Glauben bestärken. Und jedesmal, wenn ich die Himmelschlüsserl betrachte denke ich an das Gebet.

Da wir ja alle die ersten Tage unseres Homeoffices für den Hausputz verwendet haben ist jetzt vielleicht auch ein guter Zeitpunkt das Haus mit Kräutern und Weihrauch zu räuchern und mit Weihwasser zu segnen.

Vielleicht können Sie Ihre vertrauten Räume auf eine neue Weise betrachten. Wenn Ihnen aber trotzdem die Decke auf den Kopf fällt können Sie mich einfach anrufen.

Birgit Raffelsberger, Pastoralassistentin
(0676/9377701)

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Foto: Slawomir Dadas

2 Gedanken zu „Wohnen bei mir selbst im Angesicht Gottes

  1. Liebe Birgit, um mit Bruder David Steindl – Rast zu sagen: Das in unserer beispiellosen Weltkrise verborgene Geschenk ist eine beispiellose Gelegenheit.
    Du hast diese Gelegenheit ergriffen und wir sind berührt.
    Ganz vielen Dank!
    Maria& Hans Huemer

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