Predigt von Generalvikar Lederhilger am 5. Fastensonntag

Liebe Brüder und Schwestern!

Ich glaube nur, was ich sehe! ist einer der Grundsätze unserer Zeit. Die dauernde Fernseh- und Internet-Informati­on oder die zahllosen Handy-Bilder auf Instagram oder WhatsApp machen das sehr deutlich. Es drückt sich darin die Sehn­sucht von Menschen aus, die mehr Gewissheit wollen, bevor sie sich auf Andere oder auch auf Gott und Religion, auf Glaube und Kirche einlassen. Dabei wissen wir doch, dass man selbst dem, was wir mit eigenen Augen sehen, nicht mehr unbedingt trauen dürfen! Oft kommen wir an die Grenzen menschlicher Wahrnehmung, werden getäuscht, manipuliert oder machen uns selbst etwas vor – gerade in der Bewertung anderer. Vorurteile mischen sich da in „mein Bild“ von ihnen. Viel zu leicht führt es aber in die Irre, nur dem zu trauen und das zu glauben, was ich sehe!

Genau dies beschreibt schon der Ev. Johannes, wenn er berichtet, dass gebildete griechische Juden, Fremde auf Besuch in ihrer Glaubensheimat Israel, sich an Philippus wenden mit der Bitte: Wir möchten Jesus sehen. Natürlich hatten sie schon von diesem Meister gehört, waren neugierig auf den Mann, von dem so viele Geschichten im Umlauf waren. Sie wollten diesen faszinierenden Menschen nun aber selbst kennen lernen, ihn sehen – gleichsam ein „Selfi“ mit ihm machen! Doch Philippus ist unsicher: Darf man diese fremden Leute einfach zu Jesus bringen? Können sie überhaupt begreifen, wem sie da begegnen möchten? Philippus bespricht sich also mit Andreas und gemeinsam tragen sie Jesus den Wunsch vor. Und sie hatten recht mit ihren Zweifeln, denn der Herr antwortet nicht sofort mit einer Terminabsprache, sondern mit einem ziemlich rätselhaften Gleichnis.

Es stimmt ja wirklich: Was würden die Menschen denn „sehen“? Einen Propheten, dessen Lebensweg zu Ende geht, eine Geschichte, die vor­aussichtlich scheitern wird, einen Gottesboten, dessen Eintreten für die Menschen mit dem Tod am Kreuz quittiert wird! Die Apostel, die den Auftrag haben, andere zu Jesus zu führen und ihn als Messias nahezubringen, müssen also zunächst Dolmetscher seiner Botschaft und Lehr­meister für eine tiefereSchule des Sehens“ sein, damit die Begegnung auch gelingen kann! Jesus selbst geht ja auch nach dem Lehrplan Gottes vor, den der Prophet Jeremia aufgezeichnet hat. Doch da heißt es: „Keiner wird mehr den anderen belehren …“ Wenn das aber stimmt, wie kann ich dann noch etwas von Gott und seiner Beziehung den Menschen weitersagen? Wie lerne ich als Christ zu leben, wenn es mich keiner mehr lehrt? Wie begreife ich Gottes Willen, wenn niemand mir Hinweise für die Suche nach Gott gibt? Wie soll ich ein glaubender, hoffender und liebender Mensch werden, wenn niemand mich mehr dazu anleitet?

Keiner wird den anderen belehren“ sagt Jeremia, doch er meint damit nur, dass man Gott durch bloße Wissensvermittlung nicht auf die Spur kommt. Es besagt aber gerade nicht, dass jede/r in spirituellen Fragen auf sich allein gestellt ist; dass überhaupt keine Begleitung, Hinführung und Glaubens-Weitergabe mehr möglich sei! Ganz im Gegenteil: diese ist nötig! Im Blick auf die biblischen Glaubensgeschichten können wir erahnen, was Jeremia uns zu verstehen geben will: Wenn ich jemand in Gottes Nähe führen und etwas Wichtiges von ihm zeigen möchte, wird mir dies nie durch bloße Belehrung gelingen! Echte Beziehung zu Gott kann nicht vom Kopf her ohne Herz hergestellt werden: weder durch schrift-kundige Gelehrsamkeit, das Auf­sagen von Glaubensformeln oder das Nachlesen im Katechismus. Nichts davon kann mir das persönliche Ringen um den Glauben in der unmittelbaren Begegnung mit ihm abnehmen!

Deshalb wollen die Menschen aber etwas von Gott sehen! Und da­für finden wir im biblischen Lehrplan Gottes eine „Seh-Schule“ in drei Lektionen: Erinnerung bestärkenBeispiel gebenGeduld haben!

  1. Wenn Gott – wie Jeremia sagt – sein Gesetz tatsächlich in uns hineingelegt hat, dann dürfen wir uns nie bloß mit Äußerlichkeiten aufhalten, sondern müssen unsere Aufmerksamkeit nach Innen richten, auf das eigene Herz schauen, in das Gott sein Wort geschrieben hat. Es ist nicht so sehr die Einhaltung der Steintafeln mit den 10 Geboten entschei­­dend für das Gelingen des Lebens, sondern der herzliche, liebevolle Umgang miteinander, für den sie stehen! Wir sollen uns daher daran erinnern, dass Gott sein Volk vor allem in die Freiheit geführt hat, dass er seine Treue in guten und schlechten Tagen durchgehalten hat, obwohl wir sie ihm gegenüber oft verletzen. Es braucht da zunächst keine theoretischen Vorträge oder Bücher, um etwa auf unser Gewissen zu hören, um uns daran zu erinnern, ob unser Verhalten zu anderen gut und böse war, aber wir brauchen die positive Bestärkung in der Erfahrung, dass Gott und schon längst etwas „gesagt“ und ins Herz geschrieben hat, dass Gott uns nahe, ja oft viel näher ist, als wir glauben. Nur darauf achten müssen wir schon selbst!
  2. Dazu gehört dann die 2. Lektion im göttlichen Lehrplan: Vorbilder suchen und selbst ein glaubwürdiges Beispiel geben! „Worte belehren. Beispiele reißen mit! wussten schon die alten Römer. Jedes Glau­benszeugnis bewirkt mehr als 1000 schöne Worte. Was wir bei anderen sehen und erleben, berührt uns stärker als jede Predigt! So verfasste Jesus keine Dogmatik und schrieb kein Lehrbuch über Gott und den Menschen, sondern er machte in seinem Leben einfach sichtbar, worum es ihm geht: nämlich um den Dienst-Weg der Liebe, den er uns als Beispiel vorlebte! Sein Gleichnis vom Weizenkorn ist daher keine Rhetorik, sondern verkörpert sich in seiner Lebens-Geschichte. Jesus lebt, was er in Bildwor­ten verkündet: Er zeigt uns nicht nur den Weg zum Vater, er ist dieser Weg! Jesus lehrt nicht irgendeinen klugen Zugang zu Gott, er ist selbst die Tür zu ihm! Jesus erzählt nicht bloß, dass Gott uns Kraft zum Leben schenkt, er selbst ist das lebendige Brot für uns!

In Jesu Dienst-Weg der Liebe sieht man nichts vom Triumph weltlicher Macht. Er zeigt uns aber noch am Kreuz sein unendliches Vertrauen in Gott, der ihn nicht im Tod lässt, sondern zum Ostermorgen der Auferstehung führt. So kann er heute noch Brot des Lebens für uns alle sein! Sein eigenes Beispiel zeigt uns: „Wer am weltlichen Leben krampfhaft festhält und meint, im Einsatz für andere nur etwas zu versäumen, wird das wahre Leben erst recht verlieren! Und umgekehrt: Wer sein Leben in selbstloser Liebe geradezu aufreibt für andere, bewahrt es tatsächlich bis in alle Ewigkeit – mit Freude!“

  1. Diese Worte sind keine einfache Kost! Doch Gott ist zuversichtlich, sagt Jeremia: „Sie alle, klein und groß, werden mich erkennen“! Hier schwingt die 3. Lektion von Gottes Lehrplan mit: Geduld haben! Glaube braucht Zeit. Glaube geht nicht auf Befehl. Vieles geschieht da oft, obwohl äußerlich noch verborgen. Deshalb schenkt uns Gott die nötige Zeit, um hinein-zu-wachsen in den Glauben und voneinander zu lernen. Wie ein Samenkorn zunächst verborgen und unscheinbar in der Tiefe keimt, so wächst auch der Glaube an Gott – bei jedem/jeder unterschiedlich schnell. Aber ich bin sicher, dass er zur rechten Zeit Frucht bringen wird – selbst wenn Gottes langer Atem für uns manchmal auch eine echte Herausforderung darstellen kann.

Auch wir möchten Jesus sehen – am liebsten jetzt sofort! Gut, aber dazu muss man sich auf Gottes Seh­schule des Glaubens und der Liebe einlassen: auf die Erinnerung, das Gute im eigenen Herzen wahrzunehmen und darauf zu achten; auf die vielen guten Beispiele in der Nachfolge zu schauen und selbst Zeugnis zu geben für andere (wie wir das auch bei der Visitation in Wels erlebt haben); und man muss viel Geduld haben mit sich und anderen, weil vieles im Verborgenen wächst. Ich bin mir aber sicher, dass sich hier in Wels, auch in der Pfarre Hl. Familie, vieles von diesem Glauben an Christus durch­aus „sehen“ lassen kann! Amen

Severin Lederhilger
Generalvikar