Die Programmrede Jesu

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wenn wir vom Klassenkampf sprechen, dann denken wir in der Regel an den Marxismus und Kommunismus und an die ökonomische und ideologische Auseinandersetzung zwischen gesellschaftlichen Gruppen, verkürzt gesagt an den Aufstand der Armen gegen die Reichen. Ein Klassenkampf wird immer erst dadurch möglich, dass solche Werte wie Solidarität, Gerechtigkeit, Fairness im Umgang miteinander nicht geachtet oder sogar verdrängt werden. Da leider ein solches Verhalten die Menschheit seit tausenden Jahren begleitet, wiederholt sich der Klassenkampf und ist oft als blutige Kriege in die Geschichte eingegangen. Bereits im dritten Jahrtausend vor Christus hat es Aufstände beim Pyramidenbau gegeben, im römischen Reich Sklavenkriege, im Mittelalter in der frühen Neuzeit Bauernaufstände und Bauernkriege und in der Moderne die Revolutionen.

Ein Teil der jüdischen Bevölkerung hat in der Erwartung gelebt, dass der Messias ein Klassenkämpfer gegen die römischen Besatzungsmächte sein wird. So muss die Predigt auf dem Berg, von der wir heute einen Auszug gehört haben, für einige Irritationen und Enttäuschungen gesorgt haben. Denn dort steht nichts davon, dass die Armen zu Waffen greifen sollten, um die Reichen zu verjagen, es steht nichts davon, dass die Köpfe rollen und die Plätze getauscht werden sollten. Nein. Jesus spricht in seiner Programmrede die Grundhaltungen der Menschen an, und versucht aus der Sicht Gottes darauf eine Antwort zu geben.

Und diese Grundhaltungen können scheinbar ziemlich einfach in zwei große Blöcke eingeteilt werden. Die erste ist die Haltung des Gottvertrauens, trotz Armut, trotz Hunger, trotz Tränen, trotz Hasses und Schmähungen, die zum Ausschluss aus der Religionsgemeinschaft führen. Gottvertrauen auch dann, wenn sein Segen scheinbar weit weg ist und man nur noch zu den Geduldeten gehört. Gottvertrauen, das wir eher von Hiob kennen, der vieles erleiden musste, und trotzdem an Gott nicht verzweifelte. Genau diesen Menschen macht Jesus die Zusage, dass Gott sie nicht vergessen hat, dass er mit ihnen geht und dass er einst ihr Leben in Freude in Fülle verwandelt.

Die andere Haltung ist ein Gegensatz dazu, nicht des Gottvertrauens sondern des Selbst-Vertrauens und dadurch die Haltung der Abwendung von Gott und von den Mitmenschen. Selbst-Vertrauen, in dem man sich selbst auf das Materielle reduziert und dadurch das eigene Seelenheil vernachlässigt. Selbst-Vertrauen als Selbstzufriedenheit ohne Rücksicht auf die anderen Menschen. Selbst-Vertrauen als heuchlerische Selbstdarstellung, um von den anderen bewundert und anerkannt zu werden. Für solche Menschen gibt es keinen himmlischen Trost, weil sie nur um sich selbst kreisen und Gott und den Mitmenschen aus den Augen verloren haben.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
auch in unserer Zeit gibt es Arme und Reiche, Privilegierte und Benachteiligte. Auch in unserer Zeit gibt es Menschen, die solche Situationen ausnützen und die Teile der Gesellschaft gegeneinander aufhetzen. Was hätte Jesus in der Situation getan, wie hätte er sich positioniert? Er hätte nie zum Klassenkampf aufgerufen, weil er die Gewalt verabscheut hat. Er hätte versucht, die Herzen der beiden Gruppen zu erreichen, um beide zu heilen: die ersten von ihrer Verzweiflung und Mutlosigkeit, die anderen von ihrer egoistischen Selbstsicherheit.

Er hätte den Armen und Benachteiligten Mut gemacht, damit sie im Glauben verharren und nicht an Gott zweifeln und geholfen, wo es möglich wäre.

Er hätte die Reichen und Privilegierten nicht beschimpft, sondern gemahnt, Gott und den Mitmenschen nicht aus den Augen zu verlieren und nicht in der überheblichen Selbstzufriedenheit dem ewigen Untergang entgegen zu gehen. Er hätte sie eingeladen, aus Dankbarkeit für ihren Wohlstand mit denen zu teilen, die wenig haben und die aus eigener Kraft nicht viel erreichen können.

Ich wünsche uns allen, dass wir uns nicht hineinziehen lassen in die Klassenkämpfe unserer Gesellschaft, sondern heilend und versöhnend wirken. Ich wünsche uns, dass wir nie Gott und seinen Willen aus den Augen verlieren. Ich wünsche uns, dass wir aus DEM leben, der uns hilft, solidarisch, gerecht und fair miteinander umzugehen, und der uns stärkt im Einsatz für eine Welt ohne Tränen, ohne Hunger und ohne Hass.

Slawomir Dadas
Pfarrer