Bei einer Studienwoche, in der es um die Bibel ging, wurde die Frage gestellt, mit wem der Gestalten aus dem Neuen Testament man gerne reden würde. Ich glaube, ich habe damals gesagt: mit dem Petrus. Hätte man mir die Frage in den letzten Wochen gestellt, hätte ich gesagt: mit Lukas. Ich würde ihn zu gerne fragen, was er sich beim Formulieren der eben gehörten Stelle gedacht hat.
Jesus kommt als Gast zu zwei Frauen. Die eine, Marta, nimmt die Gastfreundschaft ernst und umsorgt und bedient ihn. Und während er es sich gut gehen lässt, führt er mit Maria, der anderen, die sich zu ihm setzt, Smalltalk. Und als Marta meint, dass ihr Maria auch ein bisschen dabei helfen könnte, Jesus zu bedienen, wird sie von ihm gemaßregelt. Maria hätte das Bessere, oder wie es jetzt heißt, das Gute gewählt – was nichts anderes heißt, als dass Marta eben das Schlechte gewählt hat..
Ich weiß schon, dass Jesus nicht so gehandelt hätte, darum interessiert es mich ja so sehr, warum Lukas es so geschrieben hat. Er schreibt da eine Geschichte, die uns ärgert, weil sie ungerecht ist. Wir kennen doch alle diesen Typ Mensch, der sich wohlig seufzend zurücklehnt, auf die Arbeit der anderen blickt und dazu meint: heute lass ich einmal los, heute lass ich die anderen einmal ran. Und die Bibelfesten darunter formulieren es gleich direkt: heute bin ich einmal die Maria. In der Regel sind es die, die jeden Tag die anderen einmal ran lassen oder „heute einmal die Maria“ sein wollen.
Was wäre, wenn Marta auch den Weg von Maria gewählt hätte und sich auch zu seinen Füßen gesetzt und einfach nur zugehört hätte? Der Besuch wäre ein Desaster geworden, die Gastfreundschaft, die wirklich heilig war, wäre verletzt gewesen.
Was wäre, wenn in unserer Gesellschaft alle die Hände in den Schoß legen und sich nur hochfliegenden geistigen Gedanken widmen würden? Kann man aus dem Evangelium folgern, dass nur das Hochgeistige, das Erhabene Wert hat und alles Tätige keinen?
Dabei ist doch gerade Lukas der Evangelist, der die tätige Nächstenliebe betont. Letzten Sonntag hatten wir das Evangelium vom barmherzigen Samariter. Würde nur das Geistige, das Kontemplative zählen, dann wäre nicht der Samariter, der praktisch zugegriffen hat, dem Überfallenen zum Nächsten geworden, sondern der Priester, der im Vorbeigehen doch sicher ein Gebet für den Armen gemurmelt haben wird.
Lukas konnte ich leider nicht fragen. Aber ein paar wichtige Argumente für eine andere, verständlichere Auslegung habe ich doch gefunden. Diese Stelle wurde und wird in alter Tradition seit dem 7. Jhdt. an entscheidender Stelle einfach falsch übersetzt. So wird aus dem Satz „eines aber ist nötig“ das fatale, ausschließende „nur eines ist nötig“. Und aus „etwas Gutem“ wurde wahlweise „der allerbeste Teil“, „der beste Teil“ oder das Bessere“. Richtig müsste es heißen: Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Eines aber brauchst du. Maria hat etwas Gutes gewählt. (Wenn es jemanden interessiert, diskutiere ich gern den altgriechischen Text mit Ihnen).
Marta wird nicht ermahnt, weil sie kocht und bedient, sondern weil sie dem eine so hohe Bedeutung beimisst, dass daneben nichts Platz hat. Das ist der Unterschied! Zurückgewiesen wird nicht, dass Marta sich nach Art einer aufmerksamen Hausfrau um das leibliche Wohl von Jesus kümmert, zurückgewiesen wird ihre übertriebene Betriebsamkeit. „Marta machte sich viel zu schaffen.“ Zu viel zu schaffen. Eine solche übermäßige Sorge soll nicht sein, denn sie kann den Blick auf das verstellen, worauf es ankommt: Das Hören auf das Wort.
Die Geschichte fordert uns auf, neben dem täglich Notwendigen das auch noch Wichtige zu erkennen und dem Innehalten, der Stille, dem Hören Zeit zu geben. Es gibt keine Rangfolge von Hören und Tun, es gibt für beides nur die richtige und die falsche Zeit.
Rudolf Bittmann Diakon