Leben ohne Sünde

„Nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel; er saß mitten unter den Lehrern, hörte ihnen zu und stellte Fragen. Alle, die ihn hörten, waren erstaunt über sein Verständnis und über seine Antworten. Als seine Eltern ihn sahen, waren sie sehr betroffen und seine Mutter sagte zu ihm: Kind, wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht. Da sagte er zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört? Doch sie verstanden nicht, was er damit sagen wollte. Dann kehrte er mit ihnen nach Nazaret zurück und war ihnen gehorsam. Seine Mutter bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen.“(Lk 2,46-51)

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wenn wir das heutige Fest verstehen wollen, müssen wir uns in drei verschiedene Situationen versetzen.

Zuerst stellen Sie sich vor, dass Sie ungeplant ein Kind bekommen sollen; noch dazu in einer Beziehung, die in der Gesellschaft nicht anerkannt ist. Könnten Sie es selbstverständlich und mit Freude annehmen? Oder hätten Sie vielleicht zumindest ganz kurz den Gedanken, auch wenn Sie ihn dann sehr schnell verwerfen würden, dass es für das Kind besser wäre, nicht geboren zu werden?

Weiters sagen wir, Sie haben einen Teenager zu Hause. Würden Sie die Sprüche des Pubertierenden zu jeder Zeit und in jeder Situation ganz locker hinnehmen können? Auch dann, wenn er Ihnen alles Mögliche an den Kopf geworfen hätten? Wären Sie dabei ganz ruhig, gelassen ja sogar nachdenklich, ob es nicht vielleicht doch stimmen könnte, was er zu Ihnen gesagt hätte? Es könnte sein, dass Sie bei der einen oder der anderen Auseinandersetzung lauter werden und zu einer Erziehungsmethode wie Hausarrest greifen würden.

Versuchen Sie, sich noch in eine dritte Situation zu versetzen. Ihr erwachsenes Kind, das immer Ihr Kind bleibt, wird einmal gefragt, woher es abstammt und wer seine Eltern sind. Sie als stolze Eltern, würden sich freuen auf die Antwort: „Meine Eltern heißen so und so und sind ganz besondere Menschen. Sie gaben mir auf den Weg all das, was ich zum Leben brauche. Vor allem aber verdanke ich ihnen, wer ich jetzt bin.“ Aber dann würde etwas ganz anderes kommen und Ihr erwachsenes Kind würde sagen: „Reden wir über was anders. Meine Erzeuger sind nicht der Rede wert. Alle Menschen auf der ganzen Welt sie die, die mich prägen und für die ich lebe. Meine Vergangenheit ist nicht wichtig.“ Vielleich würden Sie das Kind nicht sofort enterben, aber Ärger wäre in Ihnen wahrscheinlich schon aufgestiegen und Sie würden ihm schon einiges sagen.

Drei Gedanken: der erste, der dem anderen das Leben abspricht, der zweite, der mit der Machtausübung zusammenhängt, der dritte, der aus der gekränkten Beziehung heraus verletzt.

Maria musste sich in allen drei Situation zurechtfinden.

Sie hat das Kind angenommen, obwohl ihr die Steinigung wegen des möglichen Ehebruchs drohte, sie bewahrte die Worte des Pubertierenden in ihrem Herzen und dachte darüber nach, und sie schwieg, ohne zu versuchen das eigene Recht zu bekommen.

Und genau diese Haltungen führten in der Geschichte dazu, dass die Menschen daran glaubten, dass Maria anders ist, als der durchschnittliche Mensch, dass sie anders mit der Provokation und mit der Herausforderung des Lebens umgeht, als es bei den meisten üblich ist. Die Kirche hat das „ohne Erbsünde“ genannt. Maria war die Frau, über die aufgrund der Gnade Gottes die Sünde nie eine Macht hatte. Die Frau, die sich nie zu Taten hinreißen ließ, die ihre Beziehung zu Gott und zu den Mitmenschen verletzt hätten. Sie war die Frau, die den Versuchungen widerstehen konnte und ihr Leben ausschließlich nach dem Willen Gottes ausgerichtet hatte. Maria – eine Frau wie wir, aber „ohne Erbsünde“, ohne die Schwäche, gegen Gott und gegen die Mitmenschen glücklich sein zu wollen.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

die Sünde macht uns zu schaffen. Sie umgibt uns, sie besiegt unseren Willen, gut zu sein, sie stellt uns immer wieder auf die Probe. Und wenn wir ihrer Versuchung erliegen, dann merken wir, dass es einen Größeren braucht, der uns davon heraus helfen muss. Gott hat Maria vom Anfang ihres Daseins an geholfen, außerhalb der Welt der Sünde zu leben.

Auch wir sehnen uns manchmal danach. In Maria haben wir einen Vorgeschmack der göttlichen Wirklichkeit, in der es die aushaltende Liebe, die barmherzige Vergebung und die geschenkte Freude gibt. Ich wünsche uns allen, dass wir trotz der Verflechtung in die Sünde immer wieder versuchen, ohne sie zu leben. Ich wünsche uns, dass wir nach jedem Fall aufstehen und den Alltag so gestalten, dass die Welt merkt, dass wir nicht unter der Macht der Sünde sondern der Liebe Gottes stehen.

Slawomir Dadas
Pfarrer